Julien Coulommier

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Fotograf

Lebensdaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geb. 1922 in Vilvoorde/B, gest. 2014

Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Coulommier ist eine graue Eminenz in der modernen belgischen Fotogeschichte. Seit den frühen 1950er Jahren pflegte er Kontakte zu damaligen Avantgarde-Künstlern in unserem Land und in den Nachbarländern. Broodthaers war ein Freund. Auch Cobra blieb nicht unbemerkt, doch vor allem die Subjektive Fotografie der Fotoform-Gruppe unter dem Einfluss des Deutschen Otto Steinert ließ ihn nicht los.

Mit einer Reihe von Prinzipien der Neuen Fotografie der 1920er und 1930er Jahre fest in ihrem Gedächtnis verankert und einem jüngsten Weltbrand im Magen verfolgten die Subjektiven Fotografen eine autonome Form der Fotografie, losgelöst von der rein reproduktiven Darstellung von Dingen. Das Grundprinzip besteht darin, dass Fotografie eine Interpretation der Realität liefern muss, die auf den spezifischen Möglichkeiten des Mediums basiert. Sie orientierten sich bei ihrer Arbeit an der Arbeit von Vorkriegsexperimentatoren wie Moholy-Nagy, Hausmann oder Man Ray.

Sie fertigten größtenteils nicht-figurative Arbeiten an, verwendeten fleißig Dunkelkammertechniken und produzierten jede Menge Fotogramme. Auch die belgischen Subjektiven (darunter neben Julien Coulommier auch Serge Vandercam, Robert Besard, Antoon Dries oder Bert Bracke) wollten Bilder sozusagen neu erfinden. „Images Inventées“ beispielsweise lautet der vielsagende Titel einer ihrer wichtigen Gruppenausstellungen im Brüsseler Centre for Fine Arts im Jahr 1957. Von hier aus entwickelte Coulommier im Laufe seiner langen Karriere eine sehr persönliche Bildsprache. „Ich betrachte Fotografie nicht als Selbstzweck“, schreibt er, „sondern als starkes künstlerisches Ausdrucksmittel, als eigenständiges grafisches Kunstverfahren mit unerschöpflichen Möglichkeiten.

Manchmal versuche ich, die sichtbare Realität zu transponieren, indem ich bestimmte Elemente aus der Natur isoliere und sie so von ihrem normalen Bestimmungsort ablenke. Manchmal versuche ich, die innere Realität von Ideen und Träumen direkt auszudrücken, indem ich aus dem Nichts ein persönliches Universum aus plastischen Formen und Lichtkontrasten erschaffe.“

Eine beeindruckende „Klammer“ in diesem Gesamtwerk ist das Projekt, das Julien Coulommier 1957 gemeinsam mit Marcel Broodthaers ins Leben rief: „Statues de Bruxelles“. Sie schlenderten gemeinsam durch Brüssel und beschlossen, eine einzigartige Bestandsaufnahme der Statuen und Denkmäler zu erstellen, die im Brüsseler Stadtbild auftauchten – ohne zeitliche und räumliche Kohärenz. Coulommier habe fotografiert, schrieb der Dichter Marcel Broodthaers. Keine kunst- oder kulturgeschichtlichen Daten, keine starken Geschichten darüber, wer oder was dort dargestellt wurde, sondern kurze poetische Sätze, Assoziationen.

Ebenso bieten die Fotos keine trockene Registrierung, sondern einen durchaus subjektiven Zugang zur Fotografie. Die besonders skurrilen Fotografien von Coulommier, die ihr Motiv weitgehend unkenntlich machen, um den Betrachter zu einer eigenen Interpretation einer Reihe von Brüsseler Statuen zu zwingen, und die surrealistisch anmutenden Texte von Broodthaers, dem späteren Star der belgischen Pop-Art (und darüber hinaus) bleiben für ein zeitgenössisches Publikum modern und anregend, aber Ende der 1950er Jahre waren sie weder verspielt, noch genial, noch düster, noch humorvoll, sondern „anachronistisch“ (Jan Baetens). Vielleicht blieb das Projekt deshalb jahrelang unberührt. Erst 1987 (mehr als zehn Jahre nach Broodthaers' Tod) wurde es in Buchform veröffentlicht (Les Amis du Musée d'Ixelles, Ixelles).

Im Jahr 1988, dem Jahr, in dem Julien Coulommier den Preis der Flämischen Gemeinschaft für seine gesamte fotografische Karriere erhielt, fasste er seine Ambitionen noch einmal zusammen: „Für mich sind meine Fotografien verfestigte Erinnerungen an fantastische, leuchtende oder düstere Visionen und Erlebnisse.“ Sie rufen in mir das Wunderbare hervor, das ich erlebt habe: ein Phantasma, eine Idee, ein Gefühl, das mich poetisch bewegen könnte. Für mich bedeuten sie letztlich eine sichtbar gemachte Suggestion, eine Form der Verzauberung oder manchmal auch eine Beschwörung der wahren Realität.“

Ein repräsentatives Buch zum Werk von Julien Coulommier mit einem Text von Gerhard Glüber erschien 1995 bei Nazraeli Press, München. Neben einer Monographie aus dem Museumsfonds von 1989 mit einem Text von Pool Andries wurden Gespräche mit Coulommier von Johan M. Swinnen (Photography in Dialoog, Kortrijk, 1999) und Ludo Bekkers (Éd. Tandem, Gerpinnes, 2004) veröffentlicht. Über Statues de Bruxelles schrieb Jan Baetens den Aufsatz „Le sujet de la photography subjective“ im American Word & /mage, Bd. 14, Nr. 3, 1998.

Interessant ist auch, dass Coulommier selbst seit 1954 Artikel und Ausstellungsrezensionen für in- und ausländische Zeitschriften und Kataloge schreibt und eine umfangreiche Korrespondenz mit führenden internationalen Fotografen pflegt. Eine Facette seiner fotografischen Praxis, die sich ebenfalls abbilden lässt.“ [1]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausst.Kat. subjektive fotografie, Essen 1984

Quelle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Zitiert aus: Belgische Fotografen 1840-2005, Ausst.-Katalog FotoMuseum Provincie Antwerpen, Antwerpen 2005 (EE), ISBN 90-5544-556-8

Prof. Dr. Rolf Sachsse, HBK Saar